Differenzen denken: Männlichkeiten

Rezension zu: Ilka Quindeau, Frank Dammasch (Hg.): Männlichkeiten. Wie weibliche und männliche Psychoanalytiker Jungen und Männer behandeln. Klett-Cotta, Stuttgart 2014.

von Esther Hutfless

Das neue Buch von Ilka Qindeau und Frank Dammasch stellt nicht bloß eine psychoanalytische Auseinandersetzung mit dem aktuellen Thema „Männlichkeit“ dar, sondern arbeitet mit wichtigen Akzentverschiebungen, um sich diesem Thema zu nähern.

Einerseits wird ein plurales Denken von Männlichkeit vorschlagen: Männlichkeiten zu denken stellt einen Ansatz dar, Differenzen sichtbar und produktiv zu machen, während klassische Stereotypien hinterfragbar werden. Ein Ansatz, wie er im feministischen Denken ­– vor allem von Luce Irigaray und Hélène Cixous –bereits seit den 70er Jahren auf den Begriff der „Weiblichkeit“ angewendet wurde.

Weiters fokussiert das Buch auf heterosexuelle Männlichkeit, die in der Fachliteratur kaum thematisiert wird und die nach wie vor stärker an traditionellen Geschlechterrollen orientiert ist.

Andererseits möchte das Buch auch die Sichtweise, die Psychoanalytiker_innen (1) auf Männlichkeiten haben, in den Blickpunkt nehmen, anstatt Männlichkeitskonzepte allein aufseiten der Analysand_innen zu thematisieren, wie es sonst in theoretischen und praktischen Betrachtungen dieser Art üblich ist. Denn die Vorstellungen, die Therapeut_innen und Analytiker_innen von Männlichkeit haben, fließen wesentlich in die Behandlung mit ein. „Da die spezifischen Geschlechterkonzepte im Wesentlichen über vor- oder unbewusste Kanäle gestaltbildend einwirken, besteht eine wesentliche Aufgabe eines Analytikers oder einer Analytikerin darin, sich die eigenen Vorstellungen bewusst zu machen. Das vorliegende Buch will dazu einen Beitrag leisten.“ (2) Nach einem theoretisch einleitenden Teil, präsentiert der Band Fallgeschichten, die jeweils von eine_r gegengeschlechtlichen Fachkolleg_in kommentiert und diskutiert werden. Im letzten Teil wird die Bedeutung des Geschlechts im Prozess zwischen Analytiker_in und Analysand_in diskutiert.

Der erste, theoretische Teil des Bandes ist als fiktives Interview mit Ilka Quindeau und Frank Dammasch aufbereitet und thematisiert Fragen der kulturellen vs. biologischen Determiniertheit von Geschlechterrollen, die theoretischen Entwicklungen innerhalb der Gender Studies seit den 60er Jahren und ihre Auswirkungen auf „Männlichkeit“, Modelle sex und gender zu denken, die unbewussten Einschreibungen der Eltern bei der Bildung einer Geschlechtsidentität, sexuelle Phantasien, die Bedeutung des Vaters, ödipale Entwicklungen zur Männlichkeit, Vaterschaft, um nur einige der angeschnittenen Themen zu erwähnen.

Die Diskussion bezieht aktuelle Ansätze aus den Gender Studies mit ein, greift alternative Ansätze aus der Psychoanalyse auf, mit denen die Problematiken adäquater fassbar werden und zeichnet auf sehr kompakte Weise die unterschiedlichsten Positionen im Geschlechterdiskurs nach.

Etwas schade ist, dass in den Fallgeschichten „Männlichkeiten“ doch letztlich auf biologische Männlichkeit, bzw. Cis-Männer (3) beschränkt bleibt und nicht etwa ausgehend von FtM (4) oder Trans-Männlichkeit thematisiert wird. Dies wäre für eine weitere Entessentialisierung von Männlichkeiten ein wichtiger Aspekt und könnte interessante neue Aspekte in die Diskussion um Männlichkeiten einbringen.

Der dritte Abschnitt des Buches beschäftigt sich mit dem „Geschlecht“ der Psychotherapeut_innen als Auswahlkriterium für die Therapie von Kindern und Jugendlichen. Dammasch betont, dass Kinderanalytiker_innen nicht nur Übertragungsobjekte sind sondern auch als reale Personen erlebt werden und daher auch mit ihren „männlichen und weiblichen Beziehungsmustern wahrgenommen“ werden. (5) Dammasch nimmt auch an, dass in der Kinder- und Jugendlichenanalyse der/die Analytiker_in eher als Vater/Mutter, männlich/weiblich wahrgenommen wird, da Geschlechtsidentitäten sich noch nicht stabilisiert haben und ein Spiel mit Identitätsbildern noch nicht gefahrlos möglich ist. Während Eltern – zumeist sind es die Mütter – für ihre Kinder eine geschlechtshomogene Therapeut_innenwahl treffen (für Töchter wird eine Therapeutin gesucht, für Söhne ein Therapeut), verstärkt sich diese gleichgeschlechtliche Wahl, sobald männliche Jugendliche selbst den/die Therapeut_in aussuchen. Dammasch vermutet daher spezifisch andere unbewusste Themen, mit denen der Jugendliche beschäftigt ist, sofern die Wahl auf eine weibliche Therapeut_in fällt. Dammasch betont jedoch auch, dass im Zuge des analytischen Prozesses, die geschlechtsspezifischen Prägungen in den Hintergrund treten und sich auch eine bisexuelle Identifizierung und bisexuelle Wünsche entfalten, mit denen dann gearbeitet werden kann.

Ilka Quindeau argumentiert dafür, die klassische Entgegensetzung von Männlichkeit und Weiblichkeit aufzugeben, da diese die Unterschiede zwischen Männern verdecke. „Während das Geschlecht soziologisch betrachtet als gesellschaftliche Ordnungskategorie fungiert, geht es aus psychoanalytischer Sicht um das innere Erleben, um die psychische Realität von Männern, die weit vielgestaltiger und differenzierter ist, als die Geschlechterrollen vorgeben.“ (6)

Das Nachdenken über die Männlichkeit eines Patienten kann den analytischen Prozess wesentlich voranbringen, wie Quindeau anmerkt. „Dabei werden nicht nur die bewussten und unbewussten Ausformungen der geschlechtlichen Identifizierung des Patienten zugänglich, sondern ebenso die Zuschreibungen und normativen Vorstellungen zu Geschlechtsidentitäten aufseiten des Therapeuten oder der Therapeutin.“ (7)

Anmerkungen
(1) Ich verwende ich den _ (Gap) als Möglichkeit der Sichtbarmachung vielfältiger sexueller und geschlechtlicher Lebens- und Seinsweisen jenseits des normativen Dualismus Mann/Frau, männlich/weiblich.
(2) S. 9 f.
(3) Cis-Gender beschreibt den Unterschied zu Trans-Gender: die Geschlechtsidentität wird mit dem biologischen Geschlecht als übereinstimmend wahrgenommen.
(4) Female to Male.
(5) S. 251.
(6) S. 258.
(7) S. 259.